Vom Miteinander zum Füreinander

Erfahrungen eines Olympiasiegers

Von Stefan Heuser und Dr. Andreas Stiehler

Die Erfahrungen des Olympiasiegers Andreas Kuffner zeigen: Physische Stärke, Wille und Präzision allein reichen noch nicht, um als Team herausragende Leistungen zu erbringen. Auf das „Miteinander und Füreinander“ – kurz gesagt: auf die Resonanz – kommt es an. Willkommen an Bord, Andreas!

Olympiasieger sind keine Maschinen: Die Teamarbeit ist entscheidend

Um mit dem Deutschland-Ruder-Achter Olympiasieger zu werden, so die landläufige Meinung, braucht es einen perfekten Tag bzw. ein perfektes Rennen. Alle Männer im Boot müssen top-fit sein, jeder Schlag muss sitzen und die Rennstrategie perfekt aufgehen. So malt auch der Fernsehkommentar im  2012er Olympiafinale das Bild von einer perfekt arbeitenden Maschine. Mit Blick auf den Deutschland-Achter spricht er von einem „menschlichen 8-Zylinder, der auf Hochtouren läuft“.

Andreas Kuffner, Olympiasieger mit dem Deutschland-Achter 2012 und Gewinner der Silbermedaille bei Olympia 2016, zeichnet in seinen Vorträgen ein anderes, deutlich differenzierteres Bild. Zum Olympiasieg 2012 resümiert er: „Es war weder das perfekte Rennen noch der perfekte Tag.“ Aber das sei auch nicht das Wichtigste. „Das Entscheidende war die Einstellung zum Rennen und die Entwicklung des Teams auf dem Weg dahin.“

Eine verrückte Idee des Trainers führt zum Durchbruch

Dass Perfektion nicht das alleinige Maß der Dinge ist, hat Andreas Kuffner während seiner Sportlerkarriere wiederholt erlebt. Eine der vielleicht nachhaltigsten Erfahrungen machte er zur WM-Qualifikation 2010 im Ruder-Zweier in Sacramento. Drei Tage vor dem entscheidenden Rennen fiel Andreas Kuffners Partner wegen Krankheit aus. Die Situation schien aussichtlos. Die Koffer waren schon gepackt, als sein Trainer mit einer geradezu wahnwitzigen Idee auf ihn zukam. Er schlug ihm vor, das Entscheidungsrennen gemeinsam mit Eric Johannesen zu bestreiten.

Man muss kein Profi in dieser Disziplin sein, um zu ahnen, dass ein Partnerwechsel eine immense Herausforderung darstellt. Sich in nur drei Tagen als Team zusammenzufinden, die Technik aufeinander abzustimmen und eine gemeinsame Ruder-Philosophie zu entwickeln, um im Anschluss ein WM-Ausscheidungsrennen zu gewinnen, scheint unmöglich.

Doch in diesem Fall kam noch ein weiteres Problem hinzu: Eric Johannesen war zu dieser Zeit Ersatzmann im Skullen – also einer ganz anderen Disziplin, bei der die Sportler mit zwei Ruder agieren. Sprich: Sein neuer Partner musste sich zunächst mit der neuen Disziplin vertraut machen, um dann nur drei Tage später gemeinsam mit Andreas Kuffner gegen die besten Teams des Landes anzutreten.

Die Beiden versuchten es dennoch – mit Erfolg. Trotz einer alles anderen als perfekten Vorbereitung und obwohl sie im entscheidenden Rennen auch noch den Start in den Sand setzten, gewannen sie schlussendlich mit mehr als 8 Sekunden Vorsprung. Bei der anschließenden WM holten sie einen beachtlichen 5. Platz und schafften es schließlich gemeinsam ins Team des legendären Deutschland-Achters, der bei Olympia 2012 Gold holte.

Offenheit und Vertrauen sind notwendig, das Mit- und Füreinander im Team essenziell

Aber was gab den Ausschlag für diesen Erfolg – und schließlich auch für den Olympiasieg des Deutschland-Achters? Andreas Kuffner verweist auf Offenheit für neue Ideen und Vertrauen als Grundvoraussetzungen. Klar: Ohne sein Vertrauen in die verrückte Idee seines Trainers und anschließend Eric Johannsens Vertrauen in ihn bei der Einführung in die ungeübte Disziplin hätten sie ihre Hoffnungen auf die WM-Qualifikation von Beginn an begraben müssen.

Der entscheidende Faktor für den Erfolg sei aber letztlich die Beziehungsqualität, das Miteinander und Füreinander im Team: „Wir haben uns miteinander offen über Schwächen, Stärken, unsere Ziele und Motivationen ausgetauscht. Dies war die Basis, um füreinander Lösungen zu finden.“

So sei es nur menschlich, wenn der eine oder andere einmal nicht Top-motiviert oder in Top-Form ist. Entscheidend sei an dieser Stelle, dass das Team darum weiß und gemeinsam passende Lösung entwickeln kann. Ein so entwickeltes „Füreinander“ sei schließlich auch die Grundlage, um auf plötzliche Änderungen des Umfelds – wie den unerwarteten Angriff der Briten beim Olympiafinale 2012 – erfolgreich zu reagieren.

Um die Resonanz im Team muss täglich gerungen werden

Dabei reiche es nicht aus, das „Miteinander-Füreinander“ nur einmal herzustellen, vielmehr müsse kontinuierlich gearbeitet werden. Andreas Kuffner kennt aus eigener Erfahrung die Neigung, an Lösungen, die einmal zum Erfolg führten, immer weiter festzuhalten – obwohl sich die Umstände im Team mittlerweile geändert haben. Er hadert noch heute selbstkritisch damit, dass bei Olympia 2016 – als der Deutschland-Achter Silber holte – aus seiner Sicht mehr drinnen war. Die Physis war top und auch der Wille zum Sieg war bei jedem im Team vorhanden, aber das „Miteinander-Füreinander“ sei ein anderes gewesen.

Sein Credo: Um herausragende Leistungen im Team zu erreichen und nachzuhalten, ist es notwendig, sich – ausgehend von einer offenen und vertrauensvollen Kommunikation - immer wieder miteinander neu einzuschwingen.

In anderen Worten: Die Resonanzfähigkeitdes Teams ist entscheidend, um sie muss täglich neu gerungen werden. Dies ist nicht nur die Voraussetzung für außergewöhnliche Leistungen im Spitzensport, sondern auch in Wirtschaft und Gesellschaft. Offenheit, eine klare innere Haltung und die Identifikation mit den gemeinsamen Zielen bei den beteiligten Akteuren (Selbstresonanz) ist auch hier notwendig, aber noch nicht hinreichend. Darüber hinaus ist es notwendig, eine empathische Beziehung miteinander aufzubauen (Team-Resonanz), um so schlussendlich tragfähige Lösungen füreinander (System-Resonanz) zu entwickeln.

Zur Artikelübersicht